Navigation
Kolpingsfamilie Oesede auf
Interview mit einer Angestellten
Belinha ist 40 Jahre alt und arbeitet in der Bäckerei der PROMEC. Sie ist Angestellte der PROMEC und daher oft Mädchen für alles. Sie repariert Wasserhähne, streicht Wände, muss auch schon mal Türen aufbrechen, einfach alles. Ihre Hauptaufgabe ist aber die Bäckerei. Die meiste Zeit habe ich mit ihr zusammen gearbeitet.
Es ist Montagmorgen und wir backen Kuchen. Für mehr als 200 Kinder und für zwei Tage.
Roland: Hast du eigentlich am Wochenende Lotto gespielt? Ich habe gesehen, die hatten 8 M i l l i o n e n Reais. 8 M i l li o n e n !
Belinha: Jaaa (und verzieht das Gesicht).
R: Du hast gewonnen?
B: Wäre ich dann hier?
R: Wieso ist doch ganz schön hier.
B: Nein, ich fahre nachher zur Lotterie.
R: Hast du denn Mega Sena gespielt?
B: Hör zu: Ich habe Lottomania, Mega Sena, Quarta Sena und Toto gespielt!
R: Was Toto auch? Hast du nicht gesagt, du würdest nie mehr spielen.
B: Ja, aber das sind doch nur 4 Reais. Was soll man denn machen?
R: Na ja 4 Reais.
B: Es gibt Leute die spielen für viel mehr. Ich nur für 4.
R: Nicht viel, aber immer, hm? Letzte Woche, diese Woche, nächste Woche, 12 Reais, 16, 20, ...
B: Ich lad dich dann ein, wenn das Geld da ist.
R: Na, dann ist ja alles in Ordnung. Will nichts gesagt haben (Belinha freut sich).
Ich gehe in die Küche um nach dem Kuchen zu sehen und komme auch schon bald wieder.
R: Was würdest du mit soviel Geld machen?
B: Ich würde mir einen Bauernhof kaufen. Mit Schweinen, Rindern, Pferden, ein paar Hühnern. Nur was kleines.
R: Echt? (frage ich ungläubig)
B: (lacht) Und ich würde dir einen Flug zurück nach Brasilien kaufen.
R: Danke, ich werde dich dann besuchen kommen auf deiner fasenda (Farm).
B: (lacht) Und ich werde nicht mehr arbeiten! Nie mehr diesen Stress!!!
R: Ja? Aber die PROMEC hat auch viele gute Seiten.
B: Da hast du Recht. Es gibt halt immer zwei Seiten. Weist du eigentlich das mein großer Leonardo und meine Tochter Susmar auch hier waren?
R: Echt?
B: Ja, damals als Schwester Antona noch da war. Bei den kleinen Kindern kann noch viel verändert werden. Aber die Grossen. Deus me livre! (Gott bewahre!)
R: Da hast du Recht.
B: Kennst du diesen Grossen? Der ständig auffällt? (Sie verzieht das Gesicht zu einer Schnute.)
R: Du meinst den. (Ich mache die Schnute nach.)
B: (lacht) Ja den! Meu Deus!!! (mein Gott)
R: Ich glaube einige Kinder müssten speziell betreut werden, sonst bringt das ganze Programm nichts.
B: Ja, speziell weit von hier (und lacht).
Ich hole zwei fertige Kuchenformen aus dem Ofen und Belinha schiebt zwei Neue hinein. Sie bereitet den nächsten Teig vor, während ich andere Formen mit Margarine einschmiere. Nach einiger Zeit kommt sie an den Tisch.
B: Gibt es eigentlich in Deutschland gute plastische Chirurgie?
R: (Ich bin etwas verwundert über die Frage.) Ja, bestimmt. Wenn du Geld hast, kannst du alles kaufen. Das ist hier ja nicht anders.
Sie geht wieder Teig rühren. Erst jetzt schnall ich was sie will.
R: Oh Belinha!
B: Ja wer weiß, wenn ich gewinne. Du wirst sehen. Eines Tages!!!
R: Maria Parecida!!! (Das ist ihr eigentlicher Name, den niemand sagt und sie auch nicht mag.)
B: (lacht)
INTERVIEW MIT EINEM SCHÜLER
Ich habe mich auf eine Bank nahe unseres Tores gesetzt. Es ist kurz vor 17 Uhr. Der Schulbus, der die Kinder abholt, müsste gleich kommen. Beim Warten schaue ich den Kindern beim Drängeln und Schubsen zu. Jedes Kind will vorne stehen. Pedro, unser Aufpasser, hat eine Schlange gebildet. Eduard hatte gedrängelt und muss sich hinten anstellen. Er ist sauer und setzt sich zu mir. Eduard ist ungefähr 9 Jahre alt und eigentlich eines der "braveren" Kinder.
Roland: Na, was war da los?
Eduard: Ach diese Idioten (er ist noch etwas sauer).
R: Wenn du da solche Sachen machst!
E: Ich, ich habe nichts gemacht.
R: Nicht ein bisschen oder gar nichts?
E: Nichts!!!
R: Schon gut, alles in Ordnung.
Wir schauen den Kindern weiter zu. Pedro hat alle Hände voll zu tun. Eduard hat sich inzwischen beruhigt.
R: Was machst du gleich, wenn du nach hause kommst?
E: Duschen und dann schlafen.
R: Gehst du immer so früh schlafen?
E: Um halb acht.
R: Echt, sooo früh? (frage ich ungläubig)
E: Ich bin ja noch klein (und lacht).
R: Da hast du Recht. (Ich wurschtele ihm durch die Haare, Eduard freut sich.)
Wir sehen den Kindern weiter zu.
R: Was habt ihr heute denn gemacht?
E: Wir haben gemalt: Warum wir Tiere mögen.
R: Und magst du Tiere?
E: (Macht seine Tasche auf und zeigt mir ein Blatt.) Ich mag Hunde, weil man mit denen spielen kann. (Auf dem Bild ist ein Hund und ein Kind abgebildet, die vor einem Tor auf einer grünen Wiese Fußball spielen).
Hier das bin ich (und zeigt auf das Kind).
R: Schönes Bild. Habt ihr zuhause einen Hund?
E: Ja, aber meistens ist der auf der Strasse.
R: Wie heißt der denn?
E: Pretinho (Schwarzchen).
R: Wie schön.
Der Bus ist inzwischen angekommen und fast alle Kinder sind schon eingestiegen.
R: Oh, jetzt aber schnell zum Bus. (Ich helfe ihm beim Einpacken des Bildes.)
E: Tschau Rolandi, schlag ein! (Ich schlag ein und er rennt zum Bus.)
Ich bleibe sitzen, bis der Bus mit den winkenden Kindern abgefahren ist.
SELBSTINTERVIEW VON ROLAND
Ich sitze abends in einem Klassenraum und höre Jovem Pan (Jugend-Musiksender). Nach ein paar Glas Wein mache ich ein Selbstinterview.
Roland Frage: Was sind die besten Momente bei deiner Arbeit?
Roland Antwort: Die schönsten Momente sind die mit den Kindern, in denen sie Spaß haben. Heute z.B. waren wir mit einer Gruppe auf unserem Spielplatz. Wie die abgegangen sind. Na ja, wir mussten natürlich immer aufpassen, denn denen fällt immer genug ein. Aber es macht richtig Spaß. Wenn die Kinder dich anfeuern noch mehr Schwung zu geben und dabei vor Freude kreischen.
RF: Hast du dir den "Anderen Dienst im Ausland", so wie der Zivi im Ausland genannt wird, so vorgestellt?
RA: Ich denke, man kann viele Bücher lesen, viel mit Leuten sprechen, die schon im Ausland waren, sich über das Land informieren, was alles sicher wichtig ist. Aber wie es dann hinterher wird, dass kann man sich nicht vorstellen. Ich muss sagen, dass unsere Organisation auch nicht so viele Informationen gegeben hat um auch kein falsches Bild zu vermitteln. Ich bin eigentlich ohne große Vorstellung hierher gekommen und das war auch ganz gut so, wie ich glaube. Ich war offen für alles und das ist mit das Wichtigste. Einfach sehen, was auf dich zukommt, wird schon!
RF: Also hattest du gar keine Vorstellungen von der Arbeit?
RA: Doch schon. Und die meisten Sachen sind auch so gekommen, wie mir gesagt wurde. Man muss immer bedenken, das ich Zivildienst mache, wenn auch im Ausland. Ich möchte nicht wissen, was meine Freunde in Deutschland machen (freut sich). Da ist es doch besser mal Sachen zu machen, die nicht so klasse sind. Das gehört dazu. Wenigstens haben wir hier 30 C und Sonnenschein! (lacht)
Das habe ich mir vor Augen gehalten, auch wenn etwas spät. Daher kann ich viele Sachen einfach "nüchterner" sehen.
RF: Also kamst du nicht als Weltverbesserer hierhin?
RA: Ich hatte schon den Anspruch, etwas zu verändern. Was das dann im Endeffekt ist, dass kann ich nicht sagen.
Natürlich war ich mir bewusst, dass ich nicht wirklich was verändern kann. Diese Einstellung muss jeder haben, der ins Ausland geht. Sonst kann es passieren, dass man in ein tiefes Loch fällt, wenn man die Wahrheit herausfindet und aus diesem Loch findet man dann nur noch schwer wieder heraus. Davon bin ich überzeugt.
Aber wenn du merkst, bei den Leuten etwas zu verändern, positiv im Gedächtnis zu bleiben, damit bin ich mehr als zufrieden. Fortschritte in Mathe bei Kindern denen nur du geholfen hast oder einfach nur das Leuchten in den Kinderaugen. Das ist schon ziemlich geil und macht verdammt glücklich!!!
RF: Ist denn immer nur alles "geil"?
RA: Natürlich nicht, aber das ist immer so. Die schlechten Dinge nerven in dem Moment sehr, aber im Nachhinein sind sie klein und nichtig.
Ich könnte tausend Dinge aufzählen, die mir nicht gefallen, aber dafür gibt es zu viele gute Dinge, die überwiegen.
(Überlegt) Ich bin Zivi, ich bin nicht ausgebildet, Kinder zu unterrichten oder zu betreuen. Na ja, ich habe Kinder aus unserer Gemeinde betreut, aber was heißt das schon. Die Kinder haben Recht auf richtig ausgebildete Lehrer und nicht nur auf so einen Deutschen, der noch nicht einmal die Sprache richtig beherrscht. Von diesem Punkt aus geht es mir ganz gut.
RF: Siehst du die ganze Sache also recht nüchtern?
RA: Eher realistisch.
RF: Kannst du noch mal von schönen Erlebnissen erzählen.
RA: Gut, vor ein paar Tagen haben wir unsere Dachrinnen und auch das Flachdach sauber gemacht. Auf unserem Nachbargrundstück ist eine Gärtnerei. Ich fege also gerade so den Schmutz zusammen, als Belinha, mit der ich fast immer zusammen arbeite, auf einmal anfängt, leise zu sprechen. Sie zeigt auf einen Baum der auf unser Dach hängt. Belinha stibitzt von dem Baum, erst einmal zwei Mandarinen. Ganz unauffällig natürlich. Wir setzen uns dann auf das heiße Dach und essen die fast Handball großen Mandarinen. Sie hatten ziemlich viele Kerne, aber die erste Mandarine in meinem Leben, die ich direkt vom Baum gegessen habe. Was für ein Moment!
RF: Hört sich toll an. Gibt es viele solcher Momente?
RA: Ich glaube, viele Momente sind schon Alltag für mich und erst durch genaue Betrachtung werden sie mir bewusst. Oft bin ich mir einfach nicht bewusst, wie schön es hier ist.
RF: Kannst du noch mal Momente beschreiben, die nicht so schön sind.
RA: Es gibt Momente, die sind sehr persönlich, z.B. ist letzten Donnerstag die Mutter einer Küchenhilfe gestorben. So was zeigt wie hilflos ich bin, gerade so weit weg von zuhause ohne Familie und Freunde. Oft schon schwer.
Aber du meinst bestimmt andere Momente. Natürlich sind die krassen Gegensätze hier in Brasilien sehr beeindruckend und hinterlassen schon Spuren.
Ich will eine Situation beschreiben:
Ich sitze bei Freunden auf der Veranda und schaue den Kindern beim Spielen zu. Von oben kommen Geschwister die Straße herunter. Der große Bruder hat seine kleine Schwester an der Hand. Das Mädchen hat ein zugeklebtes Auge und trägt eine Brille. Beide habe dreckige, kaputte Kleidung an. Die Kinder der Freunde, alle mit neuen Klamotten, laufen zum Tor und fangen an, sie zu hänseln.
Diese Situation ist nicht die besondere Situation. Sie könnte so ähnlich auch in Deutschland passiert sein. Ich habe mir nur gedacht, wieso muss es solche Unterschiede geben. Das sollen meine Kinder nie erleben. Die Ungerechtigkeit ist sehr groß auf der Welt. In Deutschland macht man sich Gedanken, wie man sein Geld am besten ausgeben kann. Günstig, gut und noch viel größer!!!
In Brasilien haben nicht alle die gleichen Chancen! Es gibt Menschen denen es echt Scheiße geht. Das sollte uns immer bei allen Problemen in Deutschland bewusst sein.
Und Brasilien ist schon eher ein "Schwellenland", wie man das so schön nennt. Teilweise zumindest. Es gibt Länder, da leben die Menschen echt "einfach".
RF: Was macht das Leben hier aus?
RA: Schwer in der Kürze zu antworten. (Überlegt)
Beeindruckend ist, dass Menschen, die dich nicht kennen, dich auf Feste, zu Feiern, in die Familie, zu Freunden einladen und dass du eigentlich nur dich und nichts anderes als Gegenleistung anbieten kannst. Da habe ich mal wieder ein ganz schönes Wochenende erlebt und das einzige, was ich geben kann ist "vielen Dank für alles, Danke".
(Macht eine Pause.)
Dann natürlich das ständig gute Wetter, die wärmende Sonne, der blaue Himmel und der Sternenhimmel in der Nacht, die Landschaft - das sind alles Sachen die das Leben hier mit beeinflussen. In Deutschland ist es einfach viel zu lange kalt.
Was ich nicht vergessen darf, sind die Mädels hier.
Schön ist auch, das Brasilien Zukunft hat. Es hat das größte Wasserreservat der Welt; den Amazonas, hat die beste Erde der Welt, auf und in der alles wächst. Was noch fehlt ist gute Politik. Mal sehen wie unser Präsident Lula das schafft. Ich drücke ihm die Daumen (siehe Buchtipp).
Die Brasilianer sagen "Deus é brasileiro" (Gott ist Brasilianer) und "Gott hätte die Erde nur einmal geküsst und zwar da wo Brasilien ist" (lächelt und überlegt noch mal).
Es sind die kleinen Dinge, die das Leben hier ausmachen. Das ist hier wie in Deutschland genau gleich.